Am Ende des Monats stehen auf dem Kontoauszug rote Zahlen, auf dem Tisch stapeln sich Rechnungen. Realität für viele Menschen in Deutschland und auch im reichen Baden-Württemberg. Einen Ausweg aus der Schuldenspirale gelingt vielen nur mit Unterstützung einer Schuldnerberatung.
(Nicole Mohn) Armut und Schulden – das sind zwei Themen, die sich nur schlecht voneinander trennen lassen. Wer gerade so über die Runden kommt, kann Unvorhergesehenes wie den Jobverlust oder eine Erkrankung kaum verkraften. „Bei vielen unserer Klienten finden sich solche Brüche in der Biografie“, sagt Silvia Ohmenhäuser von der DRK- Schuldnerberatung in Nürtingen. Wie schnell so etwas passieren kann, zeigt die aktuelle Entwicklung der vergangenen Monate, in denen das Corona Virus streckenweise das gesamte Leben in Deutschland lahmlegte. Von einem Tag auf den anderen hieß es für tausende von Arbeitnehmern: Nichts geht mehr. Der Bund meldete in den zurückliegenden Monaten ein Rekordhoch bei der Kurzarbeit. Viele Mini Jobber verloren über Nacht ihre Einkommen. Kosten wie Miete, Versicherungen, Kredite aber laufen weiter. Gerät man in eine solche Situation, rät die Expertin dazu, kühlen Kopf zu bewahren und sich einen guten Überblick darüber zu verschaffen, wofür das Geld jeden Monat ausgegeben wird. „Möglichkeiten, Ausgaben zureduzieren, gibt es fast immer“, weiß die Finanzexpertin aus Erfahrung. Seit 23 Jahren berät sie Menschen in finanzieller Not. Verpflichtungen wie Miete oder der Immobilienkredit, Strom, Wasser oder Krankenversicherung sollten möglichst weiterbedient werden. Geht das nicht oder nur eingeschränkt, empfiehlt ihre Kollegin Anja Heidler-Michalec, so schnell wie möglich Kontakt mit dem Vermieter, der Bank oder den Versorgungsunternehmen aufzunehmen. „Eine offene Kommunikation mit den Gläubigern ist sehr wichtig“, sagt sie. In ihrem Beratungsalltag erleben die beiden Expertinnen regelmäßig das genaue Gegenteil: Mahnungen und Anfragen der Gläubiger werden ignoriert, Rechnung um Rechnung läuft auf. Oft haben die Schuldner längst den Überblick über ihre einzelnen Verpflichtungen verloren. Fatal, denn das zieht zusätzliche Kosten wie Mahngebühren und Strafen nach sich und die Schulden wachsen weiter. Nachteilig wirkt sich ein solches Verhalten zudem auf die Bonität aus. Wer einen negativen Schufa Eintrag hat, der muss mit weitreichenden Konsequenzen rechnen. „Jeder zweite Vermieter verlangt heute eine Bonitätsauskunft“, gibt Anja Heidler-Michalec ein Beispiel. Auch Online Händler prüfen auf Schufa Einträge. Eng wird es aber vor allem bei neuen Verträgen oder gar einem Bankwechsel. „Mit einer schlechten Schufa kann man nicht einmal mehr einen Umschuldungskredit abschließen“, warnt Silvia Ohmenhäuser. Vor allem bei vielen jungen Menschen ist die Angst vor negativen Schufa Einträgen groß, weiß Sophia Scheyhing von „Benefit“, einem Projekt des Kreisdiakonieverbandes im Landkreis Esslingen. Sie berät und begleitet zusammen mit ihrer Kollegin Lena Stumpp überschuldete Jugendliche und junge Erwachsene. Einen Überblick über ihre monatlichen Ausgaben haben die wenigsten, die ihre Unterstützung suchen. Das böse Erwachen kommt, wenn z.B. der Freund dann nicht wie versprochen zahlt und man selbst auf den Kosten sitzen bleibt. Andere belasten die Kreditkarte und ihre Dispos bis zum Anschlag. „Die Fälle gleichen sich oft“, berichtet Sophia Scheyhing. Schnell summieren sich diese Außenstände auf mehrere Tausend Euro. Mit einem schmalen Azubi Gehalt eine schwere Bürde. Für die drei Schuldnerberaterinnen drückt sich hier ein grundlegendes Problem aus: „Viele junge Leute sind nicht wirklich auf ein selbstständiges Leben vorbereitet“, so ihre Beobachtung. Immer wieder komme es deshalb in den Biografien zu Brüchen, weil zum Beispiel eine Ausbildung einfach nach kurzer Zeit wieder abgebrochen werde, ohne an die Konsequenzen zu denken. „Den wenigsten ist dabei bewusst, dass das neue Ausbildungsjahr erst wieder im nächsten Jahr beginnt“, berichtet Sophia Scheyhing. Die Grundlagen für einen guten Start in die Selbstständigkeit werden nach Ansicht von Anja Heidler-Michalec im Elternhaus gelegt. Dem Nachwuchs alles abzunehmen und bei jeder Gelegenheit zu sponsern, ist aus ihrer Sicht keine gute Vorbereitung auf das Leben. „Kinder sollten möglichst frühzeitig lernen, mit Geld eigenverantwortlich um zugehen“, erklärt sie. Taschengeld, das zur freien Verfügung steht, ist für die Schuldnerberaterin dabei ein wichtiger Baustein: „Wenn man einen Döner essen geht, dann aber nicht mehr genug hat, um mit den Freunden ins Kino zu können, lernt man, sich sein Geld einzuteilen“, sagt sie. Sie empfiehlt, in der Familie offen über Geld und auch Schulden zu reden. Kindern sollten wissen, dass selbstverständliche Annehmlichkeiten wie Internetzugang und Ähnliches nicht umsonst sind. „Die Kinder sollten wissen, woher das Geldkommt, mit dem die Familie ihre Ausgaben bestreitet“, wirbt sie für Aufklärung auch in finanziellen Fragen. Ältere Klienten lassen oft den offenen Umgang mit Schulden fehlen. „Schulden sind bei den Schwaben ein echtes Tabuthema“, stellt Silvia Ohmenhäuser fest. Selbst die, die den Schritt zur Schuldnerberatung bereits gemacht haben, brauchen im Gespräch lange, bis sie sich den Beratern öffnen. Statt offen mit der Tatsache umzugehen, sich manches nicht mehr wie früher leisten zu können, hielten viele zudem die Fassade so lange wie möglich aufrecht. „Lieber essen sie nichts“, spielt aus ihrer Sicht neben der Scham auch eine Portion Stolz mit.
Der dringende Appell der Fachfrauen: Die Probleme rechtzeitiganpacken und sich Hilfe holen, finanzielle Hilfen in Anspruch nehmen. „Wir unterstützen gerne dabei, die richtigen Ansprechpartner zu finden“, so Silvia Ohmenhäuser. Ihre Türen stehen für alle ratsuchenden offen – kostenfrei und streng vertraulich. „Wichtig ist, sich einen Überblick zu verschaffen, eine Gläubigerliste zu machen und mit denen eine Einigung zu erzielen“, sagt Silvia Ohmenhäuser. Weglaufen, sagt Anja Heidler-Michalec, kann man vor seinen Schulden auf Dauer eh nicht.
Kostenfreie Angebote für Menschen in finanzieller Not gibt es landesweit. Für den
Altkreis Nürtingen sind Silvia Ohmenhäuser und Anja Heidler-Michalec von der DRK-Schuldnerberatung Ansprechpartner, Telefon (0 70 22) 70 07-38/-39. Die Mitarbeiterinnen vom Projekt „Benefit“ für junge Schuldner U25 bieten in den Kirchenbezirken Kirchheim und Bernhausen Beratungen an. Kontaktmöglichkeiten sind per Handy unter der Nummer (01 57)32 62 65 63 oder per Mail an
s.scheyhing@kdv-es.de möglich.
Die Finanzen im Griff
Wie gelingt es, mit dem Einkommen gut hauszuhalten?
Die Schuldnerberaterinnen Silvia Ohmenhäuser, Anja Heidler-Michalec und Sophia Scheyhing haben dafür ein paar einfache, schnell umsetzbare Tipps:
Einen Überblick verschaffen: Wer regelmäßig auf seinen Dispo zurückgreifen muss, der sollte sich genau anschauen, wo das Geld bleibt. Die Expertinnen empfehlen, über ein bis zwei Monate über alle Ausgaben Buch zu führen. „Dazu braucht es keine komplizierte Excel-Tabelle, man kann alles einfach in ein Heft eintragen“, sagt Silvia Ohmenhäuser. Auch ein Überblick über Verträge von den Versicherungen angefangen über Internet und Handykosten bis zu Streaming-Abos und zu Beiträgen fürs Fitnessstudio oder Vereine gehört dazu.
Prepaid statt auf Pump: Kontaktloses Bezahlen, Kreditkarte und Online-Shopping haben das Einkaufsverhalten verändert. Wer schnell in Versuchung gerät, kann sich selbst ein Limit setzen: „Wie beim Handy gibt es auch Prepaid-Kreditkarten, auf denen man das Guthaben vorab einzahlt“, gibt Sophia Scheyhing als Tipp. Als kleine Einkaufsbremse lässt sich die bei den Online-Händlern hinterlegen: „Wenn das Guthaben aufgebraucht. ist, geht man auch nicht über sein Limit“, so die Beraterin.
Budget im Blick behalten: Wer größere Ausgaben über einen Kredit finanzieren möchte, sollte vor der Unterschrift genau prüfen, ob die zusätzliche monatliche Belastung ins Budget passt. Insbesondere, wenn sich die Einkommenssituation während der Laufzeit ändert – zum Beispiel durch den Eintritt in die Rente.
Vorsorgen: Als junger Mensch ist die Rente weit, weit weg. Dabei ist die Vorsorge fürs Alter wichtiger denn je, sagt Anja Heidler-Michalec: „Man sollte sich regelmäßig über seine Rentenansprüche informieren und wenn möglich privat vorsorgen.“ Unterstützung geben der Staat (Riester) sowie einige Arbeitgeber.
Was hat Priorität? Gerät man in Zahlungsverzug, gilt es, die wichtigsten Gläubiger umgehend zu kontaktieren und nach Lösungen zu suchen. „Bei Geldstrafen, Mietschulden und einem überzogenen Giro-Konto wird es schnell eng“, warnt Anja Heidler-Michalec.
Hilfe suchen: Der wichtigste Rat der drei Beraterinnen lautet aber: „Holen Sie sich Unterstützung.“ Und das möglichst frühzeitig.