(28.10.2018/Roland Rath) Wenn der Melder piepst, dann bleibt den ehrenamtlichen Einsatzkräften aller Hilfsorganisationen in der Regel keine Zeit, sich auf den kommenden Einsatz mental vorzubereiten. Für die Einsatzkräfte sicherlich nicht immer ganz so einfach. Nach dem Einsatz kommen, je nach Verlauf und Betroffenheit des Einzelnen, eventuell Fragen und Gedanken auf und Stress macht sich breit.
Aus diesem Grunde lud der Notfallnachsorgedienst Nürtingen-Kirchheim vom Deutschen Roten Kreuz, Kreisverband Nürtingen-Kirchheim/Teck e.V. vor einigen Tagen recht herzlich zu seiner ersten offenen Fortbildung unter dem Arbeitstitel: "Stressbewältigung für Einsatzkräfte" ein. 46 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem „Blaulichtmilieu“ folgten dieser Einladung und wurden durch Eve Christiane Grunewald, Leiterin dieses Dienstes, herzlich begrüßt. Dem Referenten, Markus Schwab, Personzentrierter Berater und Ansprechpartner für PSNV-E im DRK Landesverband Baden-Württemberg, gelang es, die Teilnehmer/innen in kürzester Zeit für sich und das Thema zu gewinnen. Die Zeit, sie verging wie im Fluge und trotz der fortgeschrittenen Zeit beantwortete Markus Schwab noch alle Fragen ausführlich.
Photos: Nürtinger Zeitung, Nicole Mohn, Markus Brändli, DRK Bereitschaft Weilheim, DRK Bergwacht Lenninger Tal, M. Voges-DRK KV Stollberg und Roland Rath
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Die Nürtinger Zeitung berichtete in ihrer Ausgabe vom 13. Oktober auf der Seite 33, wie folgt, darüber:
Wenn die Bilder im Kopf zur Belastung werden
Immer mehr Rettungskräfte leiden unter Stress und Burnout – Beratungsdienst unterstützt bei der Aufarbeitung – Stress ist einer der größten Risikofaktoren für Erkrankungen. Besonders betroffen sind Mitarbeiter der Rettungsdienste – egal ob haupt- oder ehrenamtlich. Belastende Einsätze schüren die Gefahr, an einer Posttraumatischen Belastungsstörung zu erkranken. Von Nicole Mohn
Vom Auto ist nicht viel mehr übrig als ein Klumpen Blech. Alle vier Insassen tot. Für Feuerwehrmann Thomas R. (*Name geändert) ist es nicht der erste Einsatz mit Todesopfern. Doch dieses Mal ist alles anders: Im Auto sitzen ehemalige Klassenkameraden von ihm. Die Bilder des Unfalls verfolgen den jungen Mann bis heute. „Fünf Jahre lang konnte ich nicht an der Kreuzung vorbeifahren, hab immer einen Umweg gemacht“, berichtet er.
So wie Thomas geht es vielen Einsatzkräften bei Feuerwehr, dem Sanitätsdienst oder anderen Rettungsdiensten. Manchmal reicht ein Geruch und die Bilder eines besonders belastenden Einsatzes sind wieder da. Flashbacks, die unvermittelt auftauchen und wie ein dunkler Schatten auf allem zu liegen scheinen.
Markus Schwab, beim DRK als Personenzentrierter Berater und Ansprechpartner für Psychosoziale Notfallversorgung tätig, kennt Geschichten wie die von Thomas R. nur zu gut. Wenn immer er mit Kollegen ins Gespräch kommt dauert es nicht lange und sie erzählen ihm von ihrem schlimmsten Einsatz. „Ich habe oft den Eindruck, dass belastende Erlebnisse gar nicht richtig verarbeitet wurden“, sagt er.
Deutlich spürt der Experte, dass in den vergangenen Jahren die Anforderungen an die Rettungskräfte gestiegen sind. „Das gilt für die hauptberuflichen ebenso wie für die ehrenamtlichen“, stellt er klar. Schon der Grundlevel an Belastungen ist hoch bei DRK, Feuerwehr und Co. Immer mehr Aufgaben, immer höhere Anforderungen sorgen dafür, dass der Stresspegel steigt. „Termin- und Leistungsdruck, zu viel Arbeit, soziale Konflikte – all diese äußeren Stressoren haben Einfluss auf uns“, so Schwab. Bei den Einsatzkräften kommen dazu ein deutlich gestiegenes Gefahrenpotenzial bei den Einsätzen, längere und vermehrte Einsatzzeiten und ein vermehrter Aufwand an Übungsstunden.
Ungeduld, Perfektionismus, Kontrollstreben und Selbstüberforderung können den Stress für die Einsatzkräfte jedoch potenzieren. „Oft sind die Ansprüche an sich selbst zu hoch gesteckt“, weiß der Berater aus Erfahrung. Dauerhafter, negativer Stress macht krank. Die ständige Alarmbereitschaft, in die der Körper bei Stress versetzt wird, fordert über kurz oder lang ihren Preis.
Die Symptome reichen von Schlaflosigkeit über Tinnitus bis hin zu Kopfschmerzen oder Magen-Darm-Problemen. „Das sind Alarmsignale“, warnt Schwab. Ein deutliches Zeichen unseres Körpers, dass es an Entspannung fehlt. Reagiert der Betroffene nicht, gerät er in eine Spirale, die zur völligen Erschöpfung führt, warnt er. Präventiv lässt sich einiges tun.
Fast schon banal hören sich die Tipps an, die Schwab in vielen Seminaren derzeit landauf, landab den Kollegen mit auf den Weg gibt: Aufgaben delegieren statt alles selbst zu erledigen. Die Erwartungen nicht zu hoch setzen. Auch mal „Nein“ sagen. Grenzen setzen und die eigenen akzeptieren lernen, Unterstützung suchen. Sich seine Zeit realistisch einplanen und Platz schaffen für Ruhepausen, in denen man den Kopf frei kriegen und die Batterien wieder aufladen kann. Für ausreichend Schlaf sorgen.
Schwab weiß, dass sich einige dieser Tipps platt und banal anhören. Alles schon hundert Mal gehört. „Eigentlich wissen wir ja auch ganz gut, wie wir Stress reduzieren können und was uns guttut. Wir machen es bloß nicht“, sagt er. Deshalb tut es gut, sich immer wieder bewusst zu machen und das eigene Verhalten zu überprüfen. Selbst er als Experte sei nicht gefeit, wie er zugibt: „Eigentlich versuche ich mindestens zweimal die Woche meine Laufschuhe zu schnüren. Hab ich diese Woche nicht geschafft.“
Die größte Bedeutung misst der Fachmann für Psychosoziale Notfallversorgung bei der Stress-Bewältigung der Kameradschaft im Team und der guten Aufarbeitung von Einsätzen bei. Insbesondere bei belastenden Erlebnissen wie schweren Unfällen oder Bränden mit Todesopfern halten es Experten dies für unabdingbar.
Auch Roland Rath vom Notfallnachsorgedienst Nürtingen-Kirchheim weiß aus Erfahrung, dass in der Kameradschaft vieles aufgefangen werden kann – zum Beispiel wenn man nach dem Einsatz noch beieinandersitzt und redet. „Da ist vieles schon abgevespert und man hat es gar nicht gemerkt“, so sein Feedback von vielen Einsätzen, die er begleitet hat. Bei großen Einsätzen ist das Team deshalb immer mit vor Ort. „Bei uns im Zelt gibt es immer einen Kaffee oder Tee und jemand, der zuhört“, berichtet er. Manchmal reiche es nicht, nach dem Einsatz zusammenzusitzen und zu reden. Insbesondere bei Einsätzen wie jenem, der Feuerwehrmann Thomas R. so aus der Bahn geworfen hat.
Einsätze mit schwerverletzten oder getöteten Kollegen oder Freunden, mit mehreren Toten oder Verstümmelten, insbesondere Kindern. Oder auch Situationen, in denen die Helfer selbst verletzt wurden oder gar in Lebensgefahr gerieten. Erlebnisse wie diese können bei den Einsatzkräften akute Belastungsreaktionen auslösen. Meist nicht im Einsatzgeschehen selbst, wie Schwab weiß. „Da funktionieren die meisten“, erklärt er.
Nach dem Einsatz holt sie das Erlebte ein
Erst nach Einsatzende holt den Betroffenen das Erlebte ein. Körperliche Reaktionen wie Übelkeit, Zittern oder Herzrasen sind dann möglich. Flashbacks, Albträume, Selbstzweifel und Versagensangst, Konzentrationsprobleme, sozialer Rückzug, eine ungewohnte Gereiztheit bis hin zu Aggressivität sind weitere Anzeichen für eine Traumatisierung. Hält dies länger an, sind auch Verdrängungs- und Vermeidungsstrategien wie Alkohol bei Betroffenen zu beobachten.
Deshalb empfiehlt Schwab dringend, solche Ereignisse aufzuarbeiten. Anderenfalls kann es zu einem chronischen Verlauf der Störung kommen. In Nürtingen wird die Möglichkeit zu einer psychosozialen Betreuung schon seit fast 20 Jahren angeboten. Die Mitarbeiter des Notfallnachsorgedienstes Nürtingen-Kirchheim sind rund um die Uhr und sieben Tage die Woche für jeden da, der Unterstützung braucht. „Hier kann man sich mit allen Sorgen melden, die den Dienst betreffen“, betont Roland Rath vom DRK-Kreisverband. Selbstverständlich bleibe alles vertraulich. „Niemand muss Angst haben, dass die Geschichte bei seinem Bereitschaftsleiter oder in den Personalakten landet“, sagt Rath. Vieles lasse sich in persönlichen Gesprächen aufarbeiten. „Bei Bedarf haben wir aber auch Zugriff auf einen Trauma-Therapeuten“, berichtet er.
Das DRK möchte solche Angebote wie die Notfallnachsorge künftig für alle in Baden-Württemberg zum Standard machen. „Ziel ist es, das Thema Stressbewältigung schon in der Ausbildung fest zu verankern“, sagt Schwab. Für die Präventionsarbeit soll es für die Einsatzgruppen vor Ort mindestens einen sogenannten Peer geben, der Gespräch nach Einsätzen begleitet oder bei Bedarf auch dafür sorgt, dass Einsatzkräfte professionelle Hilfe bekommen.
Auf den jeweiligen Kreisverbandsebenen soll ein weiterer Peer für Einsatznachsorge und psychosozialer Ansprechpartner etabliert werden. Darüber hinaus sollen die Angebote besser vernetzt werden und ein regelmäßiger Austausch stattfinden können. Auf Kreisverbandsebene startet der Notfallnachsorgedienst des DRK Nürtingen-Kirchheim im engen Schulterschluss mit anderen Organisationen eine Fortbildungsoffensive zu diesem Themenkomplex, wie Eve-Christiane Grunewald berichtet.
Teilnehmen können sowohl ehrenamtliche als auch hauptberufliche Einsatzkräfte aus dem Rettungswesen sowie der Polizei. „Wir möchten das Angebot auf breitere Füße stellen“, sagt sie. Drei Mal im Jahr sind Ausbildungsangebote geplant.
Weiter für das Thema zu sensibilisieren ist für sie wie auch ihren Kollegen Rath unerlässlich: „Die Zeit der Helden ist vorbei“, macht Rath klar, dass auch Rettungskräfte keine Übermenschen sind. Eine gute Stressprävention ebenso wie eine Einsatznachsorge ist für ihn ebenso unerlässlich. „Was nutzt es uns, wenn unsere Einsatzkräfte ausbrennen?“, sieht er die Organisationen hier in der Fürsorgepflicht – schon aus ganz eigenem Interesse. Nur so können die Einsatzkräfte auch zukünftig ihren Aufgaben gewachsen bleiben.