Notfallsanitäter/innen - sie können mehr, als sie dürfen!?
(07.01.2020) Bereits am 19.01.2018 berichteten wir an dieser Stelle über diese prekäre Situation. Getan hat sich, außer in Bayern und Rheinlandpfalz, so gut wie nichts. Doch nun bringt der Notfallsanitäter Felix Peter Haehne mit seinem Internethit „Ich bin Krankenwagenbelademeister“ auf Facebook, welcher in kürzester Zeit weit über 800.000-mal angeklickt wurde, die Politik in die Bredouille. Die Nürtinger Zeitung berichtet in ihrer Ausgabe vom 03.01.2020 auf Seite 3 (Stuttgarter Nachrichten) wie folgt darüber:Notfallsanitäter haben eine umfassende medizinische Ausbildung. Doch ohne Rücksprache mit einem Arzt dürfen sie nicht eigenverantwortlich heilkundlich tätig werden. Ihre Arbeit ist deshalb ein Spagat zwischen Hilfe für den Patienten und Gesetzestreue. Die Politik zögert.
Von Jürgen Bock
Stuttgart - Ein kurzes Video hat sich in den vergangenen Wochen zum Internethit entwickelt. Notfallsanitäter Felix Peter Haehne aus Niedersachsen sitzt da in seiner Uniform mit Ukulele in der Hand. Er trällert ein Liedchen über seinen Beruf und dessen Fallstricke. Und bringt die Politik in diesen knapp eineinhalb Minuten mächtig in die Bredouille. Leider dürfe er, teilt er dem fiktiven Patienten damit, nichts gegen dessen Schmerzen tun, denn dann lande er vor Gericht. Da müsse man schon auf den Notarzt warten. „Der weiße Engel kommt `ne halbe Stunde später, und bis dahin unterhalten wir uns nett“, singt er. Und kommt am Ende zum Fazit: „Ich bin Krankenwagenbelademeister. Ja, das ist mein Beruf, so heißt er.“
Eine bittere Schlussfolgerung, wenngleich in nette Verse verpackt. Und sie bringt das Befinden vieler Mitarbeiter im Rettungsdienst auf den Punkt. Denn sie erleben jeden Tag bei ihren Einsätzen, dass sie bei bestimmten Symptomen und Erkran-kungen helfen könnten – es aber wegen der Gesetzeslage nicht dürfen. Weil sie keine Ärzte sind. „Ich habe die Wahl zwischen dem Wohl des Patienten und der Rechtssicherheit“, sagt ein Notfallsanitäter aus der Region Stuttgart. Er erzählt einen ganz alltäglichen Fall: Ein Patient hat sich ein Bein gebrochen. „Der hat vor Schmerzen geschrien – aber eigentlich hätte ich ihm kein Schmerzmittel geben dürfen, ohne auf den Notarzt zu warten.“ Beim Einsatz entscheiden sich viele Ret-ter für die schnelle Hilfe. Und gehen rechtlich damit ein Risiko für sich selbst ein.
Das Berufsbild des Notfallsanitäters ist erst vor wenigen Jahren geschaffen wor-den. Es ersetzt den bisherigen Rettungsassistenten. Ziel war, das Personal auf den Rettungswagen besser zu schulen. Zum Wohle der Patienten, aber auch der Notärzte, die dann entlastet werden könnten. Die Ausbildung hat sich von zwei auf drei Jahre verlängert, medizinische Inhalte nehmen mehr Platz ein als zuvor. Die Retter, die die Ausbildung neu absolviert oder sie auf ihre bisherige Qualifikation obenauf gesetzt haben, verfügen jetzt über bessere Fähigkeiten als je zuvor. Es fehlt an Fachpersonal.
An manche praktischen Folgen haben Politik, Verbände und auch diverse Ret-tungsorganisationen aber offenbar nicht gedacht. Der erste Disput entspanne sich, als die Frage aufkam, wer eigentlich die Kosten für die längere Ausbildung übernimmt. Als dafür eine Lösung gefunden war, bemerkte man, dass durch die Umstellung ein ganzer Ausbildungsjahrgang ausfällt – an den Folgen knabbern die Rettungsorganisationen in ganz Deutschland bis heute. Fachpersonal fehlt auf dem Markt, überall fallen Schichten aus, weil gleichzeitig die Zahl der Einsätze steigt und immer mehr Mitarbeiter benötigt werden. Und jetzt gibt es auch noch das Problem mit der rechtlichen Lage.
Im Heilpraktikergesetz ist der sogenannte Arztvorbehalt verankert. Notfallsanitäter dürfen demnach eigenverantwortlich keine medizinischen Leistungen erbringen, die auf Ärzte beschränkt sind. Andererseits können sie sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig machen, wenn sie in einer Notsituation nicht eingreifen. Beim Notfallsanitätergesetz handelt es sich um ein reines Ausbildungsgesetz – was die Leute anschließend dürfen, ist nicht geregelt. Es heißt nur, dass sie medi-zinische Tätigkeiten unter Aufsicht eines Arztes übernehmen dürfen. Doch was heißt das? Vorab delegiert oder nur, wenn der Arzt tatsächlich daneben steht? Und was, wenn keine Rücksprache möglich ist?
„Wir müssen unsere Mitarbeiter schützen“, sagt Marcus Schauer. Der Abteilungsleiter Rettungsdienst beim Landesverband Baden-Württemberg des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) berichtet, die Retter befänden sich jeden Tag bei zahlreichen Einsätzen in der rechtlichen Grauzone. „Auch aus Sicht der Patienten ist es nicht vertretbar, dass jemand unnötig Schmerzen haben muss, wenn ein Helfer da ist, der sie nehmen könnte“, so Schauer. Und man könne auch schwer vermitteln, dass man zu einem einfachen Unterzucker einen Notarzt bestellen müsse, der gleichzeitig anderswo bei einem schweren Unfall gebraucht würde.
Ganz so eindeutig wie bei den Rettungsdiensten ist die Meinung freilich nicht überall. Ärzteverbände zum Beispiel scheinen tief gespalten in der Frage, wie man mit den Kompetenzen der Notfallsanitäter umgehen soll. Da gibt es durchaus Befürchtungen, die Helfer könnten medizinisch übers Ziel hinausschießen. Dabei herrscht auch an Notärzten Mangel. „Der Arzt soll das Maß bleiben. Die Notfallsanitäter sollen die Notärzte entlasten und ihnen assistieren“, sagt Wolfgang Kramer. Er ist Landesarzt und Präsidiumsmitglied beim DRK und sagt: „Ich als erfahrener Notfallmediziner würde mich von einem Notfallsanitäter problemlos behandeln lassen. Die Leute sind sehr gut ausgebildet.“ Es gehe dabei auch nicht um den oft zitierten Luftröhrenschnitt, sondern um Schmerzmittel, die Behandlung von Bluthochdruck, wenn ein Schlaganfall droht, oder von Patienten im Unterzucker.
Doch was tun?
Die Lage ist verzwickt, denn für manche der Gesetze und Regelungen ist der Bund zuständig, für andere sind es die Länder. „Der Ball liegt in Berlin“, sagt Kramer dennoch. Das Bundesrecht müsse die Grundlage schaffen, damit die Länder, in deren Befugnis der Rettungsdienst liegt, entsprechende Regelungen treffen können. Bayern hat das unlängst getan und zumindest einen ge-wissen Teil der medizinischen Leistungen unter bestimmten Voraussetzungen für Notfallsanitäter freigegeben. Auch in Baden-Württemberg gab es entsprechende Versuche – mit einer Liste, auf der bestimmte Leistungen standen. Doch das Vorhaben scheiterte schon daran, dass keine Versicherung angesichts der Rechtslage die Mitarbeiter für diesen Fall versichern wollte. „Auch deshalb braucht es eine gesetzliche Autorisierung“, sagt Schauer. Wichtig sei zudem, dass sich dann auch Länder, Kreise und Organisationen auf ein gemeinsames Vorgehen einigten: „Es darf nicht sein, dass ein Flickenteppich entsteht.“
Bundesrat wird aktiv
Die Politik hat das Thema bisher eher zögerlich angefasst. Das Bundesgesundheitsministerium hat sich bereit erklärt, „einen Dialog zwischen den Beteiligten zu initiieren“. Immerhin: Im Herbst haben Bayern und Rheinland-Pfalz eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Notfallsanitätergesetzes gestartet. Auch Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und das Saarland sind ihr beigetreten. Sie soll mehr Rechtssicherheit bringen. Zwar gibt es daran von verschiedener Seite Kritik – den einen gehen die Vorschläge nicht weit genug, den anderen zu weit – doch in den Augen der meisten Retter wäre sie zumindest eine deutliche Verbesserung im Vergleich zum jetzigen Zustand. Jetzt ist der Bundestag am Zug. „Der Vorschlag ist eingegangen, wurde aber noch nicht beraten“, sagt eine Sprecherin. Wann er in die erste Lesung gehe, sei noch unklar.
Das Video von Felix Peter Haehne zählt bei Youtube inzwischen fast 800 000 Klicks. Es gibt zahlreiche Antwortfilmchen von Kollegen, Ärzten oder Patienten. Auch eine Notärztin hat unter dem Namen Doc Caro ein Liedchen verfasst. Sie stimmt dem Notfallsanitäter darin voll und ganz zu. Sie singt: „Die Politik hat’s nicht erkannt – vielleicht ja bald der Verstand.“ Man wird sehen.