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„Dich schickt der Himmel“

Gottesdienst mit Festakt „20 Jahre Notfallnachsorgedienst Nürtingen“ mit der evangelischen Dekanin Christiane Kohler-Weiß und dem katholischen Dekan Paul Magino in der Versöhnungskirche in Nürtingen. Fotos: Markus Brändli

Notfallnachsorgedienst Nürtingen feiert 20-jähriges Bestehen mit Festgottesdienst.

Ein Blaulicht auf dem Altar und Einssatzrucksäcke im Kirchenraum sieht man nicht alle Tage. Ein ausdrucksvolles Zeichen, dass in der Nürtinger Versöhnungskirche ein besonderer Gottesdienst stattfindet. Zum 20-jährigen Bestehen des DRK-Notfallnachsorgedienstes in Nürtingen und Kirchheim haben sich die Einsatzkräfte einen Gottesdienst gewünscht. Nach mehreren Anläufen konnte dieser nun endlich gefeiert werden.

„Dich schickt der Himmel“ – das kann ein befreiender Ausruf sein, wenn einem ein anderer Mensch genau im richtigen Moment zur Hilfe kommt, dann wenn er am nötigsten ist. Wie sehr die Unterstützung des DRK-Notfallnachsorgedienstes (NND) für viele Betroffene im Not- oder Unglücksfall „geradezu vom Himmel“ kommt, das weiß Tanja Baumann, die stellvertretende NND-Leiterin, aus vielen bewegenden Dankesbriefen sehr genau. Deshalb stand auch der Gottesdienst zum 20-jährigen Bestehen, unter diesem Motto. Eigentlich wurde es ein Gottesdienst zum 21-jährigen Bestehen des NND, denn wegen Corona brauchte der Jubilar zu seinem Festakt in der Versöhnungskirche Nürtingen mehrere Anläufe. Gegründet wurde der DRK-Notfallnachsorgedienst Nürtingen am 1. März 2001. Besonders viel zu verdanken hat er Eve-Christiane Grunewald, die ihn 20 Jahre leitete und im Deutschen Roten Kreuz ehren- und hauptamtlich schon über 25 Jahren aktiv ist und war. Auch wenn sie leider wegen Krankheit nicht an der Feier teilnehmen konnte, bekam sie die ihr gebührende Ehrung medial. Der Festgottesdienst wurde aufgenommen und so erhob sich die gesamte Versammlung und drehte sich nach hinten zur Kamera, um ihr zu applaudieren. Da Eve-Christiane Grunewald ihren Notfallrucksack inzwischen abgelegt hat, bekam sie als Geschenk einen Freizeitrucksack mit viel nützlichem Inhalt: Die Rettungsdecke stammt original aus dem Notfallrucksack, lediglich beim Proviant wurde aber etwas abgewichen. Statt Müsliriegel und Gummibärchen gab es Sekt und Landjäger. Auch DRK-Präsident Simon Blessing hat Eve-Christiane Grunewald in guter Erinnerung, war er doch selbst einmal Zivildienstleistender im DRK-Kreisverband Nürtingen-Kirchheim/Teck und kennt sie noch als hauptamtliche Mitarbeiterin des Kreisverbandes. „Du hast Dich immer schützend vor uns Zivildienstleistende gestellt, wenn der Chef zu streng zu werden drohte“, ist Blessing „Christel“ Grunewald heute noch dankbar. In seinem Grußwort hob der Kreisverbandspräsident die wichtige Bedeutung des NND und des PSNV auch für die Einsatzkräfte in den DRK-Gliederungen hervor: „Nach schweren Einsätzen oder Einsätzen mit traumatisierenden Ereignissen ist es wichtig mit jemanden darüber reden zu können, um diese so zu verarbeiten. Ich freue mich daher sehr, dass wir ein gut ausgebildetes PSNV-Nachsorgeteam in unseren DRK-Reihen haben“, gratulierte Blessing im Namen des gesamten DRK-Präsidiums zum Jubiläum.

Seit der Gründung des Dienstes gab es 1020 Einsätze. Wie sehr sich der NND entwickelt hat, erläuterte Tanja Baumann anhand beeindruckender Zahlen: Gab es am Anfang vier Einsätze pro Jahr, waren es im Jahr 2021 beachtliche 127. Bei ihren Einsätzen standen die Einsatzkräfte 9383 Betroffenen zur Seite. Seit 2017 kooperiert der NND im wöchentlichen Wechsel mit dem kirchlichen Notfallseelsorgeteam. Schöner Anlass, die Jubiläumsfeier in Form eines Festgottesdienstes abzuhalten. Zählt man die seit dem Jahr 2008 aufgezeichneten Zahlen der kirchlichen Notfallseelsorger hinzu, kommt man sogar auf 1552 Einsätze. Für die durchweg ehrenamtlichen Einsatzkräfte bedeutet dieses Pensum ein pfadfinderisches „Allzeit bereit“, denn in einer beliebigen Woche kann es keinen einzigen, aber auch sechs Einsätze geben, und ein solcher Einsatz kann zwischen zwei und acht Stunden dauern. Die Einsatzkräfte werden dabei aus allen Lebenslagen gerissen. Dass sich die „vom Himmel Geschickten“ da selbst himmlischen Beistand wünschen, liegt nahe. Um diesen wurde im Gottesdienst mit der evangelischen Dekanin Christiane Kohler-Weiß und dem katholischen Dekan Paul Magino dann auch umfassend gebeten. Etwa für die Situation, wenn menschliches Leid die Einsatzkräfte an die Grenzen ihrer professionell antrainierten Distanziertheit bringt. „Sie sprechen den Menschen gut zu in ihrer Schockstarre“, sagte die Dekanin in ihrer Predigt. „Ob Gott das Leid verstehe? In Christus habe er alles vorstellbare Leid der Welt selbst erlitten, Angst, Folter und Tod“, spendet die Dekanin Mut und Hoffnung für die seelsorgerische Arbeit der NND-Einsatzkräfte. Für den Landkreis Esslingen dankte Dr. Marion Leuze-Mohr, die Erste Landesbeamtin im Landkreis, den Einsatzkräften in einem Grußwort für deren Arbeit. „Pandemie wie Krieg bringen Traumata mit sich. Hier braucht es Menschen, die helfen und entsprechend fachlich qualifiziert sind, aber auch die nötige Empathie und Resilienz für eine solche anspruchsvolle Hilfe mitbringen.“ Die Herausforderung, Geflüchtete unterzubringen, sei nochmals größer als 2015/2016. „Damals haben wir im Landkreis 8000 Menschen untergebracht, heute müssen wir davon ausgehen, dass diese Zahl bei weitem überschritten wird.“ Die Arbeit des NND beginne meist dort, wo die Arbeit der Feuerwehr, der Polizei und der Rettungsdienste ende. Manches, was die Einsatzkräfte leisten, geschieht ganz unauffällig. So waren zwar im Juli 2021 im Hochwassergebiet keine NND-Einsatzkräfte aus Nürtingen und Kirchheim eingesetzt. Dafür sprangen sie in Nachbarkreisverbänden ein, wo wegen des Hochwassereinsatzes gerade Not am Mann – und an der Frau – war. Seit 17. März 2022 hat der NND die Gesamtkoordination der Psychosozialen Nachversorgung (PSNV) im Landkreis Esslingen übernommen und betreut gemeinsam mit dem PSNV Esslingen und der Notfallseesorge die Flüchtlinge in der Esslinger Unterkunft in der Zeppelinstraße. Seit Juni 2021 werden in regelmäßigen „Letzte-Hilfe-Kursen“ die Bevölkerung, Einsatzkräfte und Pflegepersonal geschult, um schwerstkranke und sterbende Menschen besser begleiten zu können. Für die Zukunft kündigte Tanja Baumann „noch mehr Vernetzung“ an. Dafür brauche es Begegnungsmöglichkeiten, zum Beispiel die im September geplante gemeinsame Fortbildung mit der Polizei. Manch gute Vernetzung gibt es auch dank der beteiligten Personen: So war Tanja Baumann zugleich Teil des Gesangsduos, das den Gottesdienst musikalisch bereicherte. Im Anschluss an den Festakt gab es bei einem kleinen Stehempfang, das Fingerfood hatten die DRK-Seniorenzentren gestiftet, vielfältig Gelegenheit sich über die vergangenen 20 Jahre NND und die aktuellen Herausforderungen des Dienstes durch die Geflüchteten aus der Ukraine, auszutauschen.